08.06.02: Überschreitung des Wilden Kaiser von Süd nach Nord

Kleines Törl (2102 m), 08. Juni 2002

Als es in der Früh losging, kannte ich das Tagesziel noch nicht. Zwar hatte mir Patty am Vorabend telefonisch etwas von einem Schneefeld im Wilden Kaiser erzählt, das sie zusammen mit Jürgen am letzten Wochenende gesehen hatte, doch konnte ich mit dieser Information wenig anfangen. Als ich ihr mitteilte, dass ich mit dem Wilden Kaiser keine und mit Schneefeldern nur wenig Erfahrung habe, sagte sie nur, dass es wohl nicht weiter schlimm werden würde. Leider machte mich das auch nicht schlauer, da ich nicht wusste, was sie unter "nicht weiter schlimm" verstehen würde. Schließlich war ich ja noch nie zuvor mit ihr in den Bergen gewesen.

Pünktlich um halb acht hatten mich Jürgen und Patty an der Autobahnraststätte Holzkirchen aufgelesen und um kurz vor neun Uhr marschierten wir in Going beim Stanglwirt los. Die Gipfel des Wilden Kaiser verhüllten sich weitgehend in Wolken, aber wir waren sehr zuversichtlich, dass das Wetter alles in allem gut bleiben würde, womit wir auch recht behalten sollten.


Abmarsch beim Stanglwirt

Die Gipfel in den Wolken

Anfänglich ist der Weg über Teerstraße und Forstweg wenig aufregend. Lediglich ein Abzweiger fand unsere besondere Aufmerksamkeit, der zu einem gewissen "Lehrergrab" führte! Ob das ein Weg wäre, auf dem man junge Menschen an das Bergwandern heranführen könnte?

Wir waren jedoch auf der Suche nach einem anderen Abzweiger, nämlich den zum Gildensteig, der uns hinauf führen sollte zum Kleinen Törl. Spätestens als wir die Gaudeamushüte erreicht hatten, war uns klar, dass wir den Steig verpasst haben mussten, was unserer guten Stimmung allerdings keinen Abbruch tat.


An der Gaudeamushütte

Blick zum Ellmauer Tor

Die Karte zeigte uns, dass wir zwar einen Umweg machen, aber trotzdem ans Ziel kommen würden. Hinter der Gaudeamushütte folgten wir nicht dem linken Weg in Richtung Ellmauer Tor, sondern dem rechts abgehenden Steig . Rasch gewannen wir weiter an Höhe, bewegten uns aber insgesamt parallel zum Berg in Richtung Osten.


Blick übers Land

Wolkenkante am Berg

Und tatsächlich trafen wir nach einiger Zeit auf den Gildensteig. Als die Wolken einmal kurz den Blick auf die Gipfel freigaben, zeigte mir Jürgen erstmals unser Ziel, das Kleine Törl. Da mir dieser Ort völlig unerreichbar zu sein schien, fragte ich, ob das sein Ernst sei. Und siehe da: Es war sein Ernst! Als ich wissen wollte, wie er da rauf zu kommen gedenke, meinte er nur, er wisse es nicht, er sei ja auch noch nie oben gewesen, aber es erstaune ihn immer wieder, wohin überall Wege führen. Der Mann versteht es, einen zu beruhigen! Dabei sollte er natürlich recht behalten. In der Tat ist der Weg zwar lang, erfordert aber bis etwa 100 m unterhalb des Kleinen Törls nichts als Ausdauer und Sturheit. Zwar gab es einige Passagen, wo man nicht recht wusste, wie es ein Stückchen weiter oben weitergehen sollte, aber wenn man dann da war, führte uns der Steig doch wieder sicher höher.


Wo geht's weiter?

Steil nach oben

Etwa in 2000 m Höhe wurde es nicht nur etwas kälter, sondern der Weg auch durchaus anspruchsvoller. Eigentlich sollte ich an dieser Stelle sagen, dass von da an Schwindelfreiheit und Trittsicherheit absolute Voraussetzungen für das Weiterkommen sind, aber Patty zeigte uns eindrucksvoll, dass man mit Entschlossenheit und Routine auch bei Schwindelproblemen einige kitzlige Stellen meistern kann. Das was ich eigentlich sagen wollte, gilt aber trotzdem, insbesondere zwei steile Schneefelder, die es zu queren galt waren schon Respekt einflösend; ausrutschen wäre da nicht so lustig!


Schneefeldquerung

Da geht's weiter

Nachdem wir nach einer kurzen Kraxelei eine Art Passhöhe erreicht hatten, wähnte ich mich bereits am Ziel, musste mich aber gleich belehren lassen, dass das Kleine Törl noch eine Vietelstunde Wegs und direkt im Blickfeld vor uns lag.


Fast bin ich oben

Blick zum kleinen Törl I

Der Weg dorthin war dann allerdings unproblematisch. Endlich, 4 ½ h nach dem Abmarsch und knapp 1400 Höhenmeter über Going hatten wir den höchsten Punkt unserer Tour erreicht. Die Brotzeit schmeckte herrlich und auch eine sehr selbstbewusst auftretende Dohle beanspruchte ihren Anteil.


Brotzeit mit Dohle am Schuh

Ins Tal runter schau'n

Kein Gipfel für mich

Knapp unter den Wolken

Der Blick durchs Törl in Richtung Norden ist zwar herrlich, die Vorstellung da absteigen zu müssen gefiel mir allerdings nicht uneingeschränkt. Ein langes, steiles Schneefeld zog sich nach unten. Da runter?


Blick durchs Törl

Blick durchs Törl II

Rund eine halbe Stunde hatten wir uns am Kleinen Törl aufgehalten. Dann beschlossen wir unseren Weg fortzusetzen, weil wir zeitig genug in Griesenau sein wollten, um den Bus nach St. Johann zu erreichen. Der Abstieg auf der Nordseite des Törls beginnt mit einer kurzen Kletterei, die aber durch das angebrachte Stahlseil nicht weiter schwierig ist. Danach aber wurde es - zumindest für mich - richtig spannend. Rund 250 Höhenmeter fällt das steile Schneefeld ab, bis es unterhalb der Pflaumhütte flach wird. Besonders das obere Stück fand ich ausgesprochen haarig. Deutlich mehr als 50 Grad dürfte das Gefälle da betragen.


250 Höhenmeter Schneefeld

Das Schlimmste überstanden

Ich ging davon aus, dass man recht schnell Fahrt bekommen würde, wenn man richtig ins Rutschen käme. Nach dem Motto "probieren geht über studieren" legte ich auch gleich ein paar Meter auf dem Hosenboden zurück. Durch heftigen Stockeinsatz kam ich zwar schnell wieder zum Stehen, aber mein Adrenalinspiegel war deutlich gestiegen. Noch zwei weitere Absitzer mit Kurzrutsche habe ich mir auf den Weg nach unten geleistet. Wie locker vor allem Jürgen nach unten schwang, konnte ich nur mit staunender Bewunderung verfolgen. Aber um es mal trendy auszudrücken: Jürgen hatte mehr fun, aber ich hatte mehr thrill! Außerdem hielt der Spaß bei mir viel länger. Während Jürgen und Patty höchstens eine Viertel Stunde gebraucht hatten, um das Schneefeld hinter sich zu bringen, konnte ich es fast doppelt so lange genießen ...


Geschlaucht

Relaxed

Unterhalb der Pflaumhütte war der heftige Teil der Tour erledigt. "Schau", sagte Patty und deutete noch einmal hinauf auf das Schneefeld "deshalb sind wir hier hergekommen."

Ich habe es für mich als Abenteuer verbucht und da gilt ja immer: stressig, wenn man drin steckt und klasse, wenn man durch ist.

Der restliche Weg - immerhin noch gut 2 ½ h lang - führte über mehrere weitere, allerdings bedeutend flachere Schneefelder, über Bäche und durch herrliche Berglandschaften, bis wir schließlich um kurz vor halb sechs in Griesenau waren, wo leider kein Bus mehr nach St. Johann fuhr.


Noch mehr Schneefelder

Bergblick überall

Kaum hatten wir uns beim Wirt hingesetzt, fing es schon an zu regnen. Glück gehabt. Ein Taxi brachte uns schließlich zurück nach Going, von wo aus wir wieder heimfuhren.

Eine tolle Tour mit Bergkameraden, mit denen es wirklich Spaß macht, unterwegs zu sein!

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