Der Wetterbericht hatte für diesen Tag nur ein kleines Schönwetterfenster angekündigt, von dem nur Frühaufsteher profitieren würden. Da ich mich zu dieser Gattung zähle und ich außerdem um 16 Uhr wieder im Zug nach Hause sitzen musste, war ich damit zufrieden. Erwin holte mich um kurz nach sieben Uhr ab und schlug als Ziel den Ochsenkamp vor, auf dem ich - zu meinem eigenen Erstaunen - bislang noch nicht gewesen war. Als wir am Parkplatz im Söllbachtal bei Bad Wiessee losmarschierten, war kein weiteres Auto da. Zunächst geht es eine weite Strecke beinahe eben dahin; nur der einem dauernd entgegen plätschernde Bach beweist die leichte Steigung. Wir waren recht flott unterwegs, versäumten es aber nicht, die immer wieder herrlichen Ausblicke auf unser Ziel zu genießen. Leider ist es weder Erwin noch mir gelungen, im Bild festzuhalten, wie die morgendliche Sonne den verschneiten Gipfel des Ochsenkamps beschienen hat.
Nach rund einer Stunde wird der Weg endlich steiler, um unvermittelt zu enden. Von da an führt ein Steig hinauf zum Hirschtalsattel. Die Strecke führt durch den Stinkergraben und bald schon merkt man, woher der Name kommt. Ein alles andere als dezenter Geruch nach Schwefelwasserstoff, also nach faulen Eiern, schleicht sich in die Nasen. Die Ursachen dürften vermutlich die gleichen schwefelhaltigen Quellen sein, die Bad Wiessee zu einem weltberühmten Badeort machen. Tja, Geld stinkt nicht.
Aber auch das ging vorbei und bald säumten erste Schneereste den Pfad. Oben am Hirschtalsattel war die Landschaft schon leicht überzuckert.
Von jetzt an wurde es steiler, auch wenn es auf der ganzen Strecke eine leichte Bergwanderung blieb. Schon auf dem Weg nach oben boten sich immer wieder wunderbare Ausblicke.
Mit jedem Meter, den wir höher stiegen, nahm die Schneemenge zu. Die Latschen, die üblicherweise den Pfad säumen, hingen weit in den Weg hinein, so dass man ständig unter ihnen durchtauchen musste. Einmal war ich unachtsam, drückte einen Latschenast weg und kriegte ihn dann mit heftigem Schwung ins Gesicht: Eine echte Latschenwatschen! Das war aber - trotz eines schmerzenden Ohrwaschels - kein zu hoher Preis dafür, hier nur ein paar hundert Meter über dem herbstlichen Tegernsee in ein Wintermärchen eintauchen zu dürfen.
Schließlich erreichten wir den Sattel zwischen Ochsenkamp und Auerkamp und wurden mit einem überwältigenden Alpenpanorama belohnt. Nur wenige Minuten später tauchte dann auch das Gipfelkreuz auf.
Schließlich erreichten wir rund zweieinhalb Stunden nach dem Abmarsch bei strahlendem Sonnenschein den Gipfel des Ochsenkamps. Die Sicht nach allen Seiten war an diesem Tag überragend, sowohl ins Land hinaus mit Blicken nach München (z.B. war das Heizkraftwerk problemlos mit bloßem Auge zu erkennen) oder zum Starnberger See, aber vor allem auch in die Berge.
Obwohl wir kalte Füße hatten, fiel es uns nicht leicht, uns wieder vom Gipfel loszureißen. Kein Wunder!
Mein Heimreisetermin einerseits und die aufziehenden Wolken andererseits bewegten uns schweren Herzens wieder zum Aufbruch. Ich hätte noch stundenlang dasitzen und schauen können und ich bin sicher, dass Erwin mir nicht davongegangen wäre, weil es dem genauso gefallen hatte. Am Gipfel war außer uns niemand gewesen und erst am Abstieg begegeneten uns zunächst zwei einzelne Wanderer. Der Weg nach unten war viel einfacher als drei Wochen vorher am Ross- und Buchstein, wo alles vereist gewesen war, weil diesmal der Schnee locker und pulverig war. Später am Forstweg kamen uns ganze Scharen entgegen, die wohl überwiegend auf dem Weg zum Bauer in der Au waren. Daher hatte es uns auch nicht wirklich überrascht, dass der Parkplatz brechend voll war. Wir hatten die besten Stunden des Tages erwischt für unsere Tour vom Herbst ins Wintermärchen und zurück.